Ich war schon lange ein großer Fan von Weltraumaufnahmen. Allein wenn man darüber nachdenkt, welche Technologie dahintersteckt und wie weit entfernt die meisten dieser Motive doch in Wirklichkeit sind, sollte einem klar werden, wie besonders solche Aufnahmen doch sind.
Aber wusstet ihr, dass die farbfrohen und beeindruckenden Aufnahmen des Hubble Teleskop nachträglich coloriert werden und in Wirklichkeit eigentlich Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind?
Kommentare deaktiviert für Mehr als nur Wilhelms Geschreie
von Ben
In der letzten Inspiration habe ich Euch von der wunderbaren Musikmaschine berichtet, die mittels Zahnrädern, Kontaktmikrofonen und Murmeln aus Alltagsgegenständen in Kombination mit Instrumenten einen mehrstimmigen Song erklingen lässt. Die Erkenntnis des Tages war die Tatsache, dass hinter alltäglichen Klängen meist mehr stecken kann, als die verstaubte und routinierte Hörgewohnheit uns erahnen lässt. Grund genug, um im heutigen Artikel noch einmal kurz den wackeligen Schein der Taschenlampe auf die wunderbare Welt der Töne zu werfen. Genauer noch: auf Sounddesign in Filmen.
Toncrew am Set von Breaking News
Einen kurzer Einblick in die pragmatische Praxis dieser Kunst wurde mir zwangsweise in der Filmtonmischung von unserem eigenen Werk Breaking News gewährt, als es im abgedunkelten Audiostudio nicht nur darum ging, mittels Plugins am Klang zu schrauben, der on tape am Set recordet wurde, sondern mit einigen Tricks und Spielereien Bilder, Bewegungen und das eigentliche Geschehen künstlich aufzupeppen. Schnell wurde mir klar: eine Formel dafür gibt es nicht. Dieser Kontrast, diese Diskrepanz zwischen bewährter Rezeptur und individueller Spielerei des kreativen Freigeistes in der Audiotüftelei ist bemerkenswert. So haben sich in weiten Teilen der Branche gewisse Handgriffe bewährt, deren Weg man keinesfalls verlassen sollte. So ist lässt zum Beispiel die Mikrofonierung eines Instruments wenig Ellbogenfreiheit, sondern folgt dem Konzentrat einer jahrzehntelangen Audiotechnikerfahrung, was sich bewährt hat. Im Sounddesign – vor allem bei Filmen – ist dieses Korsett an Regeln weitaus weniger engmaschig geschnürt. Welches Original steckt hinter dem Schrei eines digitalen Dinosauriers? Wie soll eine fiktive Waffe klingen? Wann hat ein nachvertonter Fausthieb den richtigen Punch? Die Beantwortung dieser Fragen steht nicht unbedingt auf Seite 17 des Klangalmanachs, sondern muss von jedem selbst gefunden werden. Das notwendige Werkzeug: alles. Hauptsache man hält das Ohr offen und stimuliert die verkrustete Chochlea ausreichend, um mit dem notwendigen Bewußtsein unsere Welt zu erhören.
Sounddesigner mit ihrem Arbeitszeug
So ist es oft verblüffend, welchen trivialen Ursprung oftmals Dinge haben, deren finales Erscheinungsbild komplex, eigen und fantasievoll daherkommt. Wichtig ist nur, dass im vornherein klar ist, inwiefern Töne wirken sollen. Da liefern die Genres oftmals selbst die Antworten. Science Fiction gibt die Freiheit der Unkenntnis, der Ahnung. Man hat eine Idee davon, wie ein Laserschwert klingen könnte, aber keine Erfahrung. Insofern sind dabei weniger Grenzen gesetzt, als alltägliche Szenen. Dennoch steckt auch in den einfachsten Bildern ein Kaleidoskop an Kreativität. So zum Beispiel hinter den Schlag- und Prügelszenen von Fight Club. Der Zuschauer nimmt das brutale, schmerzende Klatschen von Fäusten auf nackter Haut als verstörend, doch realistisch war. Am Set wurde jedoch nur ein kleiner Teil des finalen Klangbildes recordet – schließlich können sich die Protagonisten nicht wirklich den Kiefer ausrenken. Erst in der Postproduktion wurde hierbei mit Tricks gearbeitet, um die angenommene Wirklichkeit künstlich authentisch zu gestalten. Der Sounddesigner Ren Klyce füllte zum Beispiel Hühnchenfleisch mit Wallnüssen, klatschte mit Schweinsfüßen auf diverse Oberflächen und bearbeiteten diese, in Klangereignisse hinterher zusätzlich.
Die Liste könnte ewig so weitergehen und verblüfft jedoch immer wieder. So steckt hinter dem massiven Dämon Balrog im ersten Teil der Herr der Ringe-Trilogie lediglich ein Betonklotz, der unterschiedlich schnell über Parkettböden geschrubbt wurde. Gerade bei einem Projekt wie diesem weiß der Zuschauer nicht, wie ein Geschöpf dieser Art zu klingen hat. Daher ist es – im Vergleich zu Fight Club, dessen Komplexität in der Illusion der Wirklichkeit liegt, etwas freier, Klänge zu kreieren.
Um es kurz zu machen: die Welt der Foley Artists ist wundervoll und blickt auf eine lange Historie. Zwar ist es nicht verwerflich, Sound aus der Dose zu benutzen, aber die Magie, einen überzeugenden Umhang aus Tönen selbst entworfen zu haben, ist weitaus mehr wert, als sich auf die Arbeit von anderen zu verlassen. Wer sich für die Ursprünge von bekannten Tönen in Filmen interessiert, dem sei die umfangreiche Liste an Blicken hinter die Kulisse von Sounddesignern zu empfehlen.
Ich bin persönlich jedes Mal begeistert, was sprichwörtlich mit Haushaltsmitteln möglich ist, um der Fiktion den Klang zu verleihen.
Kommentare deaktiviert für Hinter dem Vorhang von Alltagsklängen
von Ben
Das Kuriositätenkabinett ist längst keine Attraktion mehr, die mit einem größerem Aufwand besucht werden muss. Genau wie beim Möbelkauf muss man nicht mehr an den Arsch der Welt fahren, um die Exotik eines Freigeistes zu bestaunen, sondern öffnet einfach nur den Browser. Besonderheiten werden quasi im Sekundentakt angeschwemmt. Daher werden viele von Euch die Marble Music Machine der schwedischen Band Wintergatan bereits kennen und sich ebenso kindlich darüber gefreut haben, wie der Autor dieser Inspiration.
Dass findige Musiktüftler mit dem nötigen Wissen und dem ingenieurstechnischen Basteldrang gern Klangkästen verschiedener Art bauen, ist dabei jedoch nichts Neues. Schon immer sah man bei dem ein oder anderen etwas Eigenes im Schuppen stehen, das man selbst nicht erklären konnte oder zumindest nur mit einer halbgaren Ahnung in die vorgefertigten Schemata seines eignen Verständnisses von Instrumenten einordnete. So auch der Monome Controller, mit dem unter anderen Deadelus oder Flying Lotus Liveauftritte spielen, was eine Art von minimalistisch designetem Touchcontroller darstellt und vollkommen unorthodox wirkt. Doch mit jeder unerklärlichen Kuriosität, die das Internet unserem Auge zur Verfügung stellt, kommt auch die helfende Hand, die den Vorhang zurückzieht oder zumindest offenbart, wie der Kartentrick funktioniert.
So gibt es auch der ulkigen Murmelmaschine ein Aufklärungsvideo, das uns zeigt, wie aus Holz, Metall, Filz und anderem alltäglichem Stoff eine Melodie erklingen kann, indem man nur ein paar 1000 Handgriffe tätigt. Die Jungs von Wintergatan erklären in ihrem zweiteiligen Video relativ detailliert, wie der findige Liedermacher jeden Bestandteil eines Songs im Klangkorpus zu einem funktionierenden Gesamteindruck kombinieren kann. Was beim simplen Betrachten des Liedes bizarr und fast schon gefälscht wirkt, ergibt sich dabei jedoch über die Magie von Kontaktmikrofonen, die über die Schwingung des Trägers, auf dem sie montiert wurden, statt den Schwingungen von Klangereignissen in der Luft, stimuliert werden. Der Vorteil dabei ist, dass die Klangeigenschaft von Material dabei ausgenutzt wird, nicht jedoch das hörbare Ergebnis, das sich über den Raum bzw. die Luft an unser Ohr trägt. Damit taucht der Hörer in eine Welt ab, die ihm normalerweise im Stillen verborgen bleibt. Ein einfacher Schlag auf eine Filzmatte stellt sich somit zum Beispiel als Drumsample dar.
Was uns beim Mikrofonieren schon immer auffiel, zeigt sich hierbei in einer weitaus intensiveren Form, im Video dargestellt als Vergleich zwischen Raumklang und dem abgegriffenen Mikrofonsignal. Technik hilft uns, Töne in einem ganz anderen Kontext als dem Alltag wahrzunehmen und damit kreativ nutzen zu können. Die Musikmaschine der schwedischen Künstler ist damit ein weiteres Beispiel, wie wundervoll Sounddesign sein kann. Fernab von traditionellen Richtlinien der Audiotechnik zeigt sich in dieser speziellen Nische, wie man mit den verschiedensten Hilfsmittel, die in erster Linie kein musikalisches Potential beherbergen, dennoch eine bunte Welt der Klänge und damit Emotionen und Wirkungen schaffen kann. Die besondere Abgriff über Kontaktmikrofone ist dabei jedoch nur eine Art, dies zu erzeugen. Auch die “handelsübliche” Mikrofonierung von Dingen (entschuldigt, besser konnte ich es nicht beschreiben), lässt uns hinter die Kulisse von dem hören, was wir als gegeben und ordinär abgestempelt haben. Und wenn man gar keine Technik nutzen möchte, so braucht es nur handwerkliches Geschick und ein Verständnis davon, wie Materialklang verfremdet werden kann, um sich Sound selbst zu bauen, wie das Waterphonevon Richard Waters effektvoll unter Beweis stellt.
Der Titel lässt einige vielleicht schon vermuten, worum es geht. Sony hat mit ihrer Sony A7s damals den Grundstein für Nachtaufnahmen gesetzt – ISO-Einstellung bis 400.000, ich glaub es hackt. Ich bin ehrlich gesagt kein großer Fan der Kamera, was jedoch größtenteils daran liegt, dass viele Kameramänner, die zu mir ins Grading kommen, die Kamera neben der Alexa, Red, oder wenigsten Sony F5 einsetzen und sie im Vergleich halt immer noch ein Fotoapparat ist, der filmen kann und qualitativ massiv abkackt.
Dennoch möchte ich euch heute ein Werk zeigen, dass die Stärken der Kamera im besten Maße darstellt: “Moonlight“. Wie immer bei guten Vimeo-Videos: Lest Euch auf jeden Fall die Beschreibung durch und schaut Euch die dem Video angehängten Fotos an! Viel Spaß!
Über Freddie Wong und die Jungs von Rocketjump haben wir schon einige Male berichtet. Was aus einem Youtube Channel mit zwei talentierten VFX-Artist werden kann, beeindruckt mich noch immer. Mittlerweile ist Rocketjump zu einem großen Unternehmen mit vielen Angestellten geworden. Neben der Produktion von Filmen und Webserien und der von Martin angepriesenen Rocket Jump Filmschool, verdient die Firma noch immer Geld über ihre Youtube Videos. Besonders die Rocketjump Shorts haben es mir angetan. Das “kleine” Short-Team setzt sich das Ziel alle zwei Wochen einen Kurzfilm auf Youtube zu veröffentlichen – inklusive PrePro, Produktion und Post.
Als eines der ersten Werke zeigte Rocketjump den Film “The Rush” – und baut dabei weiter auf VFX.
Aber auch Shorts mit weniger VFX sind schön anzusehen – so zum Beispiel mein Favorit der Sleep Fighter.
Nach unserem letzten Besuch im Hell’s Club und dem damit einhergehenden Massaker an Hollywoodsternchen musste der Besitzer den gesamten Laden renovieren und auch seinem Ruf einen neuen Anstrich verpassen. Das ihm das gelungen ist, zeigt der Ansturm an Gästen, die dem alten Schuppen neues Leben verleihen. Also auch Zeit für uns dem Hell’s Club einen weiteren Besuch abzustatten. Und oh schauet her! Sie sind alle wieder da! Jean Claude van Damme und Jean Claude van Damme sehen Jean Claude van Damme beim Tanzen zu, während der Antman versucht den stampfenden Füßen der Meute auszuweichen. Daft Punk droppt die Beats und wir sehen uns einer unheilvollen dunklen Bedrohung gegenüber. Können die Ghostbuster-Jedi-Terminator-Vampirjäger-Mafiosi diese aufhalten?
Antworten gibt’s in Hell’s Club 2 Another Night. Großartiger zweiter Teil eines großartigen Mashups. Mit dabei sind ALLE. Schaut einfach in den Abspann.
There is a place where all fictional characters meet. Outside of time, outside of all logic, this place is known as HELL’S CLUB.
Kommentare deaktiviert für An Assistant a Day keeps the Trouble away
von Martin
Vom Allvater aller YouTube Filmemacher Freddy Wong und seiner Produktionstruppe RocketJump haben wir in einer unserer ersten Inspirationen bereits berichtet. Freddy – der btw mehr Kompetenz im Haaransatz hat als alle, die sich selbst als sogenannte YouTuber bezeichnen zusammen #pfui – wurde 2015 vom Forbes Magazine sogar auf dessen ‘30 under 30 Entertainment List‘ einflussreicher Persönlichkeiten der Unterhaltungsbranche gesetzt. Glückwunsch! Geiler Typ! Auch daher freut es uns umso mehr, dass er uns jetzt mit der Rocket Jump Film School (RJFS) Einblicke in seine Arbeit gewährt und seine Magie ein Stück weit entschlüsselt.
Ans Herz legen möchte ich Euch aber das besonders sympathische Tagebuch eines seiner Produktionsassistenten: A Day in the Life of a Production Assistant. Viel Vergnügen!
Das dicke Ende kommt erst noch – so funktioniert ein Film. Dramaturgie, Szenenaufbau und Spannungskurve. Der Videoclip dieser Inspiration zeigt wie nah sich Anfang und Ende eines Filmes jedoch (auch) abseits der Handlung stehen können – und das allein durch ihre Bildkomposition. Dazu stellt Miguel Faus in seinem fünfminütigen Video die ersten und die letzten Frames aus Filmen vergangener Jahrzehnte gegenüber.
Als ich das Video zum ersten mal sah, war es für mich immer dann besonders wenn ich den gezeigten Film auch in Gänze gesehen hatte und binnen dieser weniger Momente, in der ich die Frames sah, erschloss sich in meinem Kopf die gesamte Handlung dazwischen und bündelte alle Emotionen und Gedanken die ich während des Sehens erlebt habe. Ein tolles Gefühl.
Doch nicht nur diese Entführung ins cineastische Gedächtnis ist bemerkenswert, sondern ebenfalls Cinematografie und die Ähnlichkeit der ersten und letzten Bilder in manchen Filmen, die einem vielleicht erst bei der direkten Gegenüberstellung so richtig bewusst werden. Da wird ordentlich Raum frei für tiefgehende Spekulationen darüber ‘Was der Künstler uns damit sagen will’.
Kommentare deaktiviert für Podcasts und Coloristos
von Dominic
Das wirkliche schöne an bildgestaltenden Arbeiten in der Postproduktion (wie zum Beispiel Grafik, VFX, oder Lichtbestimmung) ist der Fakt, dass man nebenbei Musik hören kann – oder Podcasts.
Eine Podcast-Reihe, die ich vor einigen Jahren entdeckt habe, hat mich auch durch die letzte Woche begleitet: Die Coloristos.
Und das schön an Podcasts ist, dass man so ziemlich immer etwas dazulernt und Leuten zuhören kann, die wirklich Plan von der Materie haben. Wenn das Ganze dann auch noch ein lockeres und spannendes Gespräch bleibt, hat man eben mal 6-7 Stunden Podcasts am Tag gehört.
Die angesprochenen Coloristos sind eine Gruppe von amerikanischen Coloristen, welche aber auch über Postproduktionsthemen philosophieren, die nur am Rande mit dem Beruf des Coloristen zu tun haben, z.B. GPUs, die DCP-Erstellung, oder Monitortypen und ihre Vor- und Nachteile.
Hört doch einfach mal rein, wenn Ihr mal wieder längere Zeit vor einem Projekt sitzt.
Kommentare deaktiviert für Buck 65. Ein Leben lang Inspiration
von Ben
In unserem Blog präsentieren wir Euch relativ oft aktuelle Fundstücke, die man gern mit anderen teilt. Das Ganze nennt sich dann “Was uns inspiriert“, soll dabei jedoch in beide Richtungen wirken und ebenfallls dem Leser als eine Art kreativen Anschub dienen. Heute möchte ich aber keinen Output ausgraben, der gerade frisch aus dem Geburtskanal eines Künstlers geflutscht ist, sondern grabe – wie so oft – mal wieder in der eigenen Vergangenheit. Denn eine wichtige Quelle meiner jugendlichen Inspiration war ein Mann aus Kanada…
In einer Zeit, in der man nur gefährliches Halbwissen zur Verfügung hatte, um sich selbst in irgendeiner Weise auszudrücken, geriet man immer ins Stoplern. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Fähigkeiten verwässert immer das Endergebnis und Frust machte sich breit. Ganz klar – wer Träume umsetzen will, muss von heute auf morgen fliegen lernen. In meinem Fall war das die Musik, genauer noch Rap (was viele vielleicht nicht mit ersterem Begriff gleich setzen). In meiner Jugend verbarg sich hinter der Hip Hop-Kultur ein Kosmos an Neuentdeckungen und jeder Tag brachte ein Hochgefühl an persönlicher Weiterentwicklung mit sich. In den Pausen zwischen der Vererbungstheorie und der ewigen Suche nach dem Wert von X sammelten wir uns fast konspirativ vor der neuesten Ausgabe einer Zeitschrift namens Backspin, analysierten die bunten Seiten voll von Graffiti, studierten die Einblicke in die Philosophien zeitgenössischer Musiker oder nahmen uns Empfehlungen der Redaktion bezüglich der frischesten Scheibe schwarzen Goldes zur Brust. Im Park mit klapprigen Kassettenradio, das durchaus von einem weitaus moderneren ersetzt werden konnte, aber nicht sollte, weil das nun mal mehr so aussieht, wie auf der raubkopierten VHS von Beatstreet, schenkten wir unser Gehör lokalen DJs, die ihre Lieblingsselektion von Breakdance-Instrumentals auf Magnetband packten. Im Zuge dieser Euphorie packte jeden von uns der Tatendrang. Man wollte nicht nur Zeuge dieser Kultur sein, sondern seine eigene Kerbe ins Holz der Geschichte ritzen. Oder zumindest eine Duftmarke setzen. Während meine Freunde sich auf dem Kopf zur Musik von Kraftwerk drehten oder ihre Rucksäcke mit klappernden Dosen beluden, wollte ich Musik machen.
Dazu fehlte mir jedoch ein glaubwürdiger Hintergrund. Ich verbrachte meine Zeit nicht auf der Straße, zapfte keine Laternen an, um mein Soundsystem mit Energie und die Straßen mit Lärm zu versorgen. Ich hatte keine sozialen Probleme, kein hard knock live. Mein Vater besaß keine umfangreiche Jazz- und Funksammlung und ich war bei weitem kein besonders virtuoses Kind . Klar – das greift nun tief in die Klischeekiste, aber für mich stellten diese Dinge eine Art Portfolio der Katalysatoren einer erfolgreichen Hip Hop-Aktivität dar. Mein größtes Problem war jedoch nicht, eine Biographie wie DJ Premier zu besitzen, sondern eine selbstkritische Ader zu haben, die schnell pochte, sofern mein Schaffen nicht wie das klang, was ich anstrebte. Als ich also mit einer Träne im Knopfloch in meinem problemfreien, gar nicht mal so streetigen Kinderzimmer saß und das Handtuch schmeißen wollte, entdeckte ich einen kanadischen Künstler namens Buck 65.
Sein Rap klang gar nicht so, wie das, was ich vorher kannte. Es war nerdig, unrund, anders. Richard Terfry, der jetzt gealtert ist und sich mehr dem Blues und Country/Folkrock zugeneigt hat, schuf in den Neunzigern und frühen 2000ern ein Sammelband an Geschichten und Alteregos. Ob als Stinkin’ Rich, Uncle Climax, DJ Critical oder Johnny Rockwell – seine kurzen Tracks, mal mit vocaler Präsenz, mal einfach nur als Instrumentals, unterlegt mit technisch feinen Scratches, fesselten mich an die Membran. Buck 65 erzählte dabei vor allem Geschichten, deren narratives Spektrum von einfachen Erlebnissen im Baseballstadion bis hin zu impressionistischen Kurzerzählungen von Männern mit zu großen Händen oder abenteuerlustigen Fliegen, die Zeugen menschlicher Verbrechen wurden, reichte. Was mich aber noch viel mehr als sein schier unendliches Angebot an Geschichten begeisterte, war die Einfachheit seiner Instrumentals, die er ebenfalls selber baute. Meist nur aus einem Sample bestehend, war es vor allem der Sample an sich, der mich mitgerissen hat. Buck benutzte alles und dennoch musste man schon lange suchen, um auf seine Inspirationen zu stoßen. Das Ergebnis waren oft holprige, aber mitreißende Musikstücke, die ihre Originale feierten und dennoch in eine dumpfe Art von Adaption des Kanadiers packten. Durch dieses liebevolle Drag and Drop Prinzip produzierte Terfry in kürzester Zeit mehrere, vielseite Alben. Der Mann hatte somit einen enormen Output, wobei vor allem seine Alben in den Jahren zwischen 1996 und 2002, gekrönt mit Square, bis heute noch zu meinem liebsten Stücken an Rapgeschichte gehören. Dieses lo-fi Flare hat er mit der Mixtapeserie Dirtbike (1-4 kostenlos auf seiner soundcloud-Präsenz) danach wieder aufgenommen und damit zwischen den leider zu sauberen und geleckten Studioproduktion in der Post-Square Zeit ein Sammelsorium an Quick und Dirty-Tracks gemischt, die mich begeistern.
(Die Alben Synasthesia, Vertex, Square, Man Overboard, Weirdo Magnet und Language Arts)
Das Großartige an dieser Inspiration ist die Feststellung, dass der eigene Anspruch oft Sand im kreativen Getriebe ist. Nicht immer muss alles sauber, perfekt und makellos sein. Am Ende des Tages geht es um die Eigenständigkeit der eigenen Arbeit. Und dass man sie angeht. Buck 65 hat mir mit seiner Musik damals Mut gegeben, nicht an mir zu zweifeln. Auch wenn der gute Mann mittlerweile weit weg von dem ist, was ich von ihm aus den Neunzigern kenne, so wird er und seine Arbeit immer ein großer Teil an Inspiration in meinem Leben bleiben.