Reis+ Beitrag für die Neue Öffentlichkeit

“Der Zuschauer nimmt Einfluss auf das lineare Fernsehprogramm? Ein schwieriges Unterfangen. Diesen Eindruck vermitteln zumindest die ausbleibenden Erfolge bisheriger Experimente mit interaktiven Formaten. Muss sich das lineare Fernsehen hinsichtlich Interaktivität gegenüber Video-on-Demand- und den Bewegt- bildangeboten von Onlineplattformen geschlagen geben?”

Dies ist eine von vielen Fragen, die sich Martin im letzten Jahr in seiner Masterarbeit gestellt hat. Herausarbeiten konnte er eine Definition verschiedenener Interaktionsformen sowie 15 Kriterien, die beeinflussen ob und wie Interaktivität im linearen Fernsehen funktionieren kann. Das ist ihm tatsächlich so gut gelungen, dass nun eine Zusammenfassung seiner Ergebnisse in einem Tagungsband veröffentlicht wurde. Dieser Beitrag profitiert dabei von den Erfahrungen, die wir mit unserer interaktiven Produktion Breaking News sammeln konnten.

Bereits 2016 haben Ben und Martin zum ersten mal in Technische Innovationen – Medieninnovationen?: Herausforderungen für Kommunikatoren, Konzepte und Nutzerforschung (LINK zum Buch) unsere Erkenntnisse veröffentlicht, die wir aus Eurer Teilnahme an unserem Projekt gezogen haben. Mit seinem zweiten Beitrag hat Martin sich nun noch tiefer in das Feld der interaktiven Fernsehunterhaltung begeben und dabei unter anderem interessante Experten-Meinungen gesammelt. Er sprach mit Ricardo Rubio González dem Head of New Media Research bei SevenOne Media sowie Hauke Gerdes vom Kliemannsland und Anja Räßler, der Redaktionsleiterin für Show- und Light-Entertainment bei Rocket Beans TV und schließlich mit René Welz einem Experten für HbbTV-Technologie der HTWK Leipzig. Unten auf dieser Seite haben wir Euch die 15 Kriterien aufgeführt. Fühlt Euch frei zu diskutieren, zu argumentieren und Eure Meinung in den Kommentaren kundzutun.

Wer Den ganzen Beitrag lesen möchte, der besucht den Buchladen seines Vertrauens, Amazon (LINK) oder die nächste gut sortierte Bibliothek. Falls Ihr nett fragt wird Euch Martin aber auch vielleicht seine Ausgabe leihen! (m.blum@reis-plus.de) Neben diesem Beitrag findet Ihr auch viele andere spannende Kapitel von Richard Gutjahr, Wolfgang Kenntemich, Uta Corsa und vielen mehr. Dazu ein Auszug aus dem Vorwort: “Wie sehen die nächsten Entwicklungsstufen in Journalismus und Medien aus? Die wichtigsten Tendenzen skizziert dieser Sammelband. Er liefert Analysen zu Trends wie Big Data und Digitalisierung, Vorschläge und Modelle für den mobilen Journalismus, die Zuschauerinteraktion und –partizipation. Zum Stichwort Fake News gibt er Ratschläge zur Verifikation und stellt praktische Lösungsansätze vor. Schließlich liefert er Praxisbeispiele und einen Ausblick zur Sicherung der Qualität im Journalismus.”

Wir freuen uns, dass wir bei Reis+ eine weitere Kerbe in unser Kompetenzbrett schnitzen konnten und auch im medienwissenschaftlichen Bereich etwas Fuß gefasst haben.
Disclaimer: Ben sitzt gerade an seiner Masterarbeit und Dominic studiert auch schon wieder! Wer weiß? Vielleicht brauchen wir bald ein größeres Holz! :)

15 Kriterien zur Umsetzung interaktiver AV-Inhalte im linearen Fernsehen

1. Aufklärung: Im Vorfeld zu jeder interaktiven Sendung sollte den Zuschauern durch ausführliche Erklärungen wiederholt mitgeteilt werden wie und über welche Kanäle sie den Sendungsverlauf beeinflussen können und welcher Mehrwert sich daraus für sie ergibt. Dabei müssen auch ganz klar die Möglichkeiten und Grenzen des interaktiven Eingreifens in Handlung oder Spielgeschehen kommuniziert werden.

2. Regelmäßigkeit: Die Ausstrahlung interaktiver Formate sollte (auch senderübergreifend) in regelmäßigen Abständen erfolgen, sodass Aufklärung, Konditionierung und Werbeeffekte aufeinander aufbauen.

3. Prime-Time: Der Ausstrahlungszeitpunkt sollte so gewählt sein, dass er zwischen Beendigung des Tagewerks der Zuschauer, aber noch vor dem Verlust kognitiver Leistungsfähigkeit durch Ermüdung liegt. Für den Großteil der Bevölkerung bietet sich auch aufgrund von Gewohnheit die sogenannte Prime-Time ab 20:15 Uhr an.

4. Sympathie: Bekannte Sympathieträger als handelnde Personen innerhalb eines Formates verleiten die Zuschauer dazu, interaktive Elemente initial und vermehrt zu nutzen. Ebenso erzeugt eine Abneigung gegen bestimmte Personen diesen Effekt.

5. Persönliches Involvement: Zuschauer neigen eher dazu, interaktive Elemente zu nutzen, wenn das Format sie mit Themen konfrontiert, die sie auf eine persönliche positive oder negative Weise reizen.

6. Zeitliche Nähe: Die Auswirkung eines interaktiven Elements muss zeitnah zu dessen Abfrage oder Bereitstellung innerhalb der Handlung spürbar sein.

7. Motivation: Während des Verlaufs einer Sendung sollten die Zuschauer durch Einblendungen, Werbeblöcke oder eine Moderation wiederholt zur Teilnahme an interaktiven Elementen aufgerufen werden. Als weitere Anreize können Gewinnspiele oder sowohl materielle als auch immaterielle individuelle Belohnungen dienen.

8. Vollständigkeit: Der Zuschauer sollte die Möglichkeit haben, alternative Optionen, die nicht innerhalb der in der Sendung abgebildeten Handlung gezeigt worden sind, im Anschluss nacherfahren zu können.

9. Optionaler Passivkonsum: Zu jedem Zeitpunkt innerhalb einer Sendung sollte der Zuschauer die Möglichkeit haben, sich aus der aktiven Beteiligung zurückzuziehen, ohne, dass er dabei einen Nachteil erfährt. Ebenso sollte es ihm möglich sein, nahtlos in die interaktive Handlung (wieder-)einzusteigen.

10. Erreichbarkeit: Die Bereitstellung der interaktiven Elemente sollte über ein umfangreiches Angebot an Kanälen geschehen. Der Zuschauer sollte in der Lage sein, einen favorisierten oder den für sich am einfachsten zu erreichenden Kanal frei zu wählen. Im Angebot der interaktiven Elemente darf dagegen über die verschiedenen Kanäle hinweg kein Unterschied bestehen.

11. Usability: Die Bedienung, sowie die Steuerung bzw. die Eingabe interaktiver Elemente sollte sehr einfach gehalten und schnell verständlich sein und darf sich über verschiedene Kanäle hinweg in ihrem Schwierigkeitsgrad nicht unterscheiden.

12. Überschaubarkeit: Je einfacher ein interaktives Element zu bedienen ist bzw. dessen Anforderungen erfüllt werden können, umso eher nimmt ein Zuschauer dieses Angebot auch wahr. Die Beteiligung an interaktiven Elementen mit hohem Schwierigkeitsgrad sollte für den Zuschauer optional sein. Trotzdem sollten diese angeboten werden, jedoch vergleichsweise selten.

13. Freier Zugang: Die interaktive Teilnahme an einem Format darf durch keine umständlichen Anmeldeprozesse behindert werden. Jeder Zuschauer sollte ohne die vorherige Angabe personenbezogener Daten interaktive Elemente nutzen können. Ist dies dennoch nötig, so sollte dies auf ein Minimum und einen einmaligen Anmeldeprozess auf einer auch für andere Formate nutzbare Plattform reduziert werden.

14. Affinität: Für die Teilnahme an interaktiven Formaten darf beim Zuschauer keine erweiterte Medienkompetenz vorausgesetzt werden. Der Produzent ist in der Pflicht, die Affinität des Zuschauers für interaktive und innovative Formate durch dramaturgische Entscheidungen und den Einsatz abgestimmter und überschaubarer interaktiver Tools zu wecken und zu erweitern.

15. Live: Ist es möglich, die Handlung eines interaktiven Formates live darzustellen, so sollte dies getan werden. Ein voraufgezeichnetes Format in ein themengleiches Live-Event einzubetten, kann den Eindruck einer Livesendung simulieren.

Über Konstanten, GIGAnten und Bohnen

von Ben

Egal in welchem Jahr oder Jahrzehnt man geboren wurde, es existieren für viele Menschen gewisse Konstanten im Leben, die den Alltag lange Zeit begleiten. Der Unterschied zu nostalgiegeschwängerten Erinnerungen an Dinge unserer Jugend, wie in meinem Fall die Ninja Hero Turtles oder Marty McFly, spielen diese Wegbegleiter auch in der Gegenwart immer eine parallele Rolle. Oft ist man sich dessen nicht bewusst und realisiert vor allem deren emotionale Bedeutung erst dann, wenn sie wegfallen oder sich verändern.

In meinem Fall waren das die Jungs der Show GIGA, die ich im zarten Alter von 13 Jahren entdeckte. Ein Format, das 1998 im Kabel auf NBC Europe an den Start ging und seiner Zeit sichtlich voraus war. Als Web2.0 nur ein Gedanke auf den Wunschzetteln eingefleischter Internetnutzer war und Mark Zuckerberg vorrangig Weiberrating im Kopf hatte, präsentierte eine Gruppe von Netzreportern jeden Tag von 15 – 20 Uhr (später mit dem zusätzlichen Format GIGA Games von 22 – 0 Uhr) das, was für die meisten heutzutage zum Alltag gehört. Neues aus den ominösen Wirrungen des Internets – zusammen mit der digitalen Zuschauerbeteiligung galten die Experten dieser Sendung als Pioniere der öffentlich zugänglichen Internetbewegung. Man hatte seine neue Nische und zelebrierte diese. Diesem, ins Rollen gebrachten, Stein wollte ich natürlich hinterher sprinten und so kam es, dass mich meine erste Verbindung zum Internet auf die Landingpage von GIGA schwemmte.

Im Laufe der Zeit wurde am Konzept dieser Livesendung immer wieder gedoktert, was sowohl zu empfangs-, sowie programmtechnischen Änderungen führte, letzten Endes aber Schritt für Schritt den scheinbaren Tod meines täglichen Wegbegleiters einleitete. Die Aufbruchsstimmung in den Köpfen der Beteiligten setzte der Wegfall ihrer Sendeplattform jedoch keinen Riegel vor und so trieben Netzreporter, wie Simon Krätschmer und später auch Etienne Gardé an neue Ufer des Fernsehens. Sie repräsentierten meine Lieblingssparte von GIGA, die Videospiele, mit neuen gestalterischen Freiheiten wöchentlich auf MTV – Game One war geboren. Heimlich und leise entwickelte sich die halbstündige Videogameshow parallel zu meinen ersten Jahren als Student zu einem Sicherheitsnetz derer, die mich Jahre zuvor fast täglich in der Phase meiner Pubertät mit Wissen über moderne Medien versorgten. Man freute sich einfach, immer wieder Lebenszeichen dieser Menschen beobachten zu können. Acht Jahre sendeten sie die Rauchzeichen dieser merkwürdigen Verbundenheit, doch auch diese Phase fand mit dem Abschluss des Jahres 2014 ihr Ende.

Mittlerweile befinde ich mich selbst auf der Zielgeraden meiner studentischen Karriere. Die Homepage von Game One glotzt einen wie das trübe Auge eines vergessenen Riesen aus vergangenen Tagen an. Die Welt hat sich weitergedreht. Doch mit ihr auch die verschworene Fernsehgemeinschaft meiner Jugendtage.
Mit Rocket Beans, der Produktionsfirma all derer, die zum großen Teil für Game One verantwortlich waren, wird der nächste Schritt dieser Entwicklung eingeleitet. Sie streamen nun mit Rocket Beans TV 24/7 die Auswüchse ihrer Kreativität auf die Bildschirme unserer Rechner. Sowohl vorproduzierte Shows, als auch Live-Slots, präsentieren der Community die Inhalte, die sie in dieser aufbereiteten Form vergeblich suchen. Let’s plays, Diskussionsrunden, Livetalk, Filmreviews, Fernsehempfehlungen, Live-Battles mit der Community und mehr bieten die Bohnen rund um die Uhr online an. Das Ganze in kompletter Eigenregie und am Rande der Finanzierbarkeit. Die Presse drückt dem Format die Fahne der Innovation in die Hand, jedoch komm ich nicht drum herum, einen Hauch GIGA über meinen Monitor wehen zu sehen, wenn ich mich live einklinke.

Der Grund, weshalb dieser wortreiche Ausflug in die Entwicklung meiner Wegbegleiter in unserer Reis+ Kategorie Was uns inspiriert auftaucht, trieb vielleicht beim Lesen langsam an die Oberfläche der Erkenntnis. Nicht nur der emotionale Wert dieser Konstante meines Lebens ist dabei von Bedeutung. Schon als 13-Jähriger habe ich die Netzreporter von GIGA um ihren Job beneidet. Sie gingen einer besonderen und – zu diesem Zeitpunkt für viele noch nicht zugänglichen – Leidenschaft nach, verdienten sich dabei keine goldene Nase, aber das war auch zweitrangig. Aufgewachsen mit der naiven Vorstellung, nur im Leben etwas zu erreichen, wenn sich das Bankkonto kumulativ füllt, hat einen Jahre später die Einsicht eingeholt, dass es doch vielmehr darum geht, seine Interessen ins Berufsleben einfließen zu lassen. Auch wenn das bedeutet, finanzielle Abstriche machen zu müssen. Seit 15 Jahren leben mir das die Jungs von Rocket Beans vor, doch erst seit kurzem kann ich es einordnen und stelle fest, das diese Philosophie auch für mich Sinn macht.

Und das ist Inspiration in Reinform.