von Ben
Ein schwerer Titel beherbergt ein schweres Thema. Zumindest, wenn man es von unterschiedlichen Seiten betrachten möchte. Und wieder einmal betrifft es den menschlichen Drang zum Teilen seines Wesens. Web2.0 hat uns ein Fenster zur Schaustellung unserer Persönlichkeit gegeben. Oder vielmehr, was uns ausmacht, was uns interessiert. Über den fast schon unheimlichen Kult um youtuber und Giganten der preisgünstigen Selbstinszenierung wurde in anderen Formaten bereits ausführlich diskutiert, sodass ich an dieser Stelle nicht Fässer öffnen will, deren Inhalt wir bereits zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot hatten. Es sei nur darauf hingewiesen, wie sehr er unseren Alltag beeinflusst. Jumpcuts definieren unsere neue Art der many-to-many Kommunikation, verändern vielleicht sogar kognitive Fähigkeiten von heranwachsenden Konsumenten. Gesprächskultur und Gesprächshygiene wird beschnitten und zu einer Form von Informations-Tiki Taka eingedampft. Die katalanische Version von form follows function. Doch übt man hier vielleicht Kritik an der Art und Weise, wie Nutzer Inhalte genierieren, so bleibt im Abtropfsieb dieser Diskussion zumindest der Erkenntnisrückstand hängen, dass sie es tun. Der Mensch als reflektives Wesen lässt in einer Form des schnellverdaulichen Enterntainment seine Umwelt in die eigene Gedankenwelt einblicken. Auch wenn diese Welt manchmal nur den Umfang eine Juniortüte hat. Convenience-Unterhaltung in Zeiten der Zeitverdichtung sozusagen. Und alles im Zuge der gesteigerten Aufmerksamkeitslenkung. Der Mensch hat bedienbare Werkzeuge, um kurzfristig einen Schritt näher in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu rücken und denkt damit automatisch konstant über die Dinge nach, die er mit dem Volk teilen will. Ich streame, also bin ich.
Generieren youtuber, wie Sami Slimani, Bibi oder Katja Krasavice dabei Sternstunden ihres begrenzten Universums, in dem sie ein gewisses Portfolio an Inhalten als Fächer vorm spärlich ausgeleuchteten Gesicht tragen, so stürzt sich eine andere Form von Aufmerksamkeitswirtschaftler auf einen Bereich der Unterhaltung, der sonst im Verborgenen geblieben ist: Let’s Player. Man kann nun in die Tiefe gehen, um diesen Begriff zu definieren oder die Tastatur schonen, in dem man einfach sagt: Menschen spielen Videospiele und filmen sich dabei. Was in den Anfängen der alltäglichen Internetnutzung als Sparte von GIGA noch von den Großkopferten der Industrie belächelt wurde, weil man einem solchen Format keine Überlebenschance zusprach, erfährt in den letzten Jahren einen immer größer werdenden Zuwachs an Streamern, die ihr Scheitern, Schimpfen, ihre Freude und epische Siege in digitalen Welten zur Schau stellen wollen. Dienste, wie Twitch bieten ihnen dabei eine technische Plattform, um diese Übertragungen zu deichseln und darüber hinaus die Möglichkeit, eine Gefolgschaft an Beobachtern aufzubauen. Was diese Leute dazu bewegt, stundenlang einem scheinbar Unbekannten beim Videospielen zu beobachten, soll hier nicht weiter diskutiert werden, jedoch ist es eine Tatsache, dass Let’s Player mittlerweile auch wirtschaftlich von dieser Form der Unterhaltung profitieren, in dem sie Abos und Spendenmöglichkeiten anbieten. Erst Ende 2014 legte der populäre Streamer Forsenlol eher zufällig die Spendenstatistik seines Accounts bei einer Liveübertragung frei und ließ die Welt nun nicht nur wissen, dass er gern Videospiele zockt, sondern dabei bereits nach der Hälfte eines Monats über 18.000 Dollar gespendet bekommt.
Der kleine Mann schreit nun auf. Die gebückte Facility Managerin schüttelt den Kopf und der, sich für einen ehrlichen Arbeiter haltende, Bürger außerhalb der Zielgruppe von Let’s Playern versteht die Welt nicht mehr. Zu deuten ist, dass auch 2015 gemeinsame Interessen und die digitale Nähe zu Fremden eine neue Form der sozialen Gemeinschaft kreiert. Diese ist auf dem Fundament der Unterhaltung aufgebaut, obwohl sie die Einführungskurse von Medienproduktion konsequent geschwänzt hat (vermutlich, um zu streamen). Ich persönlich habe auch bereits viele Stunden beim Beobachten von Videospielern verbracht und kann selbst die eigene Faszination, anderen Menschen dabei zu folgen, wie sie Dinge tun, ich eigentlich selbst angehen könnte, nicht erklären. Ich habe mit Streamern gechattet, die sich vor einem Publikum von fünf Leuten Nächte um die Ohren geschlagen haben, um eine Show abzuliefern. Und ich werde es wieder tun. Ob dies nun gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Vielmehr sagt diese Form der Schaustellung über den Mensch aus, dass er Unterhaltung sucht, um sich selbst darin wieder zu erkennen.
Aufmerksamkeit lässt sich nun mal in zwei Richtungen lenken: nach außen und nach innen.