Threshold der Ablehnung: Zwischen Hass und Gefolgschaft

von Ben

Das Internet ist ein Biotop der Aufmerksamkeit. Kein anderer Spielplatz medialen Outputs beschäftigt sich so sehr mit der Frage, inwiefern die eigene Persönlichkeit aus dem Schatten hin zum Tageslicht der Folgschaft vieler treten kann. Vergesst Fernsehquoten oder Fußballfans – die Masse der Follower und Supporter in der Welt der digiWeinende "Take That"-Fans Weinende Take That-Fanstalen Vernetzung ist die neue Tanzgesellschaft, die sich um das goldene Kalb versammelt. Youtube, Twitter, Facebook und Instagram bilden damit die Petrischale der Individualisierung. Nicht bei den eigentlichen Contenterstellern, sondern vielmehr bei deren lammfrommen Kuttenträger, die die konspirativen Mantras tagtäglich im Kopf vor sich her tragen und sich im Zeichen des Objekts ihrer Begierde mit deren Namen schmücken – im Zuge der Definition des eigenen Ichs tendiert der Mensch dazu, sich von seiner Umwelt inspirieren zu lassen. Waren es damals die Take That Groupies, die mit Tränen in den Augen und Schaum vorm Maul den Namen Gary und Howie in die Welt schrien, bis die Zahnspangen barsten, so wurde die Hysterie auf dem Schulhof im digitalen Zeitalter zum Capslockkommentar im Internet. Die Notwendigkeit zum Fantum ist dabei jedoch gleichgeblieben – die Abspaltung von elterlichen Werten hin zur Subkultur steht dabei immer noch als motivationaler Stockstreich auf den Fesseln derer, die sich individualisieren möchten. Spannend ist damit eher die andere Seite dieser bizarren Beziehung im Gleichschritt zwischen Locken und Folgen.

Die Hexe des 21. Jahrhunderts bietet dem longboardfahrenden Hänsel und seiner Sis’ kein wohlfein duftendes Gebäck mehr an, sondern die Möglichkeit, sie zu hassen. Haben die Schöpfer von Back for Good sich in der Harmonie von drei Akkorden geübt, so krächzt das neue Objekt der Gefolgschaft bei seinen ersten Schritten auf dem glatten Parkett medialer Zurschaustellung Misstöne ins Ohr. Die Bibis und LeFloids müssen mit einem Ausdruck des Widerwillens im Gesicht der Krankenschwester zur Welt gebracht werden. Der geborene Schießmichtod. Der Grund ist so simpel wie verstörend: Hassen heißt Zuneigung. Emotionale Befindlichkeit im Zuge von individueller Persönlichkeitsfindung wird auf der Datenautobahn dann beschleunigt, wenn wir Konzepte und Gestalten zunächst ablehnen. Durch Antipathie überholen wir schneller, der Blinker wird demnach Richtung Link gesetzt. Doch dies ist zunächst erst einmal kontraproduktiv und widerspricht den umständlichen Worten im ersten Absatz – die Faust der Ablehnung entfernt uns vielmehr von jemanden, als dass wir Fans und somit Teil eines Personenkults werden, der sich in Form einer eigenen subkulturellen Bewegung verselbstständigt und damit einer ganzen Generation den kulturellen Katalysator zur Selbstfindung reicht.

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Was auffällt ist die automatisierte Verselbstständigung einer Gegenbewegung. Ist der Threshold der Ablehnung erreicht, erhält das Objekt der Aufmerksamkeit ein allgemeineres Wertekonstrukt. Es ist nicht mehr Person X mit seinen Makeln, sondern ein Sinnbild an moralischen Konzepten. Der Personenkult tritt die Tür zu dem Korridor frei, der aus einem medialen Lüftchen einen Sturm der Kontrapunkte macht. Der Beobachter stellt sich im Shitstorm die Frage, ob es inspi4eine Berechtigung für all den Hass gibt. Diese innere Zerissenheit hätte zwar zu jedem Zeitpunkt getriggert werden können, jedoch ist es das Ausmaß an Entrüstung, das uns dazu zwingt, dem Ganzen doch etwas abzugewinnen. Die Losspaltung von den Eltern weicht der Antihaltung gegenüber der Masse an Hatern. Ja. Sie haben vielleicht recht. Ja, man kann den Youtuber oder Instagrammanten scheiße finden, aber ist es nicht viel schicker, fernab der Schnittmenge an Ablehnung Sympathien mit dem Hassobjekt zu haben? Und so wird der kritische Punkt überschritten und Gruppendynamik versteht sich als Zuneigung zum Trash. Man folgt, um prominenten Beweggründen den Mittelfinger zu zeigen, ohne darüber nachzudenken, ob dieser in die richtige Richtung zeigt.

Das Einzige, was die Objekte des digitalen Fantums dafür tun müssen, ist sich selbst treu zu bleiben. Und demnach so lange in den Wald zu rufen, bis genug Kinderchen mit der Faust der Entrüstung in den Ofen fallen, so dass sich alle anderen fragen, ob das Hexenhäuschen nicht doch irgendetwas hat, an dem man knabbern möchte.