von Ben
Die heutige Ausgabe der #Inspiration soll nur einen schüchternen Schein auf einen neuen Trend des sozialen Interwebs werfen und sich damit anmaßen, die erstaunte Keule eines verbitterten 30-Jährigen einer naiv-schönen Bewegung der Jugend entgegen zu schwingen.
Beim Aufsuchen meiner überschaubaren Andockstellen des täglichen Medienkonsums machte mich ein Videokanal auf die Existenz einer neuen sozialen Zurschaustellung der Belanglosigkeit aufmerksam. Da jedes Kind, ob nun bereits in den Brunnen gefallen oder noch mit Plazentaresten auf der weichen Fontanelle, einen funkigen Namen braucht, hat der Begriff des Social Eating nicht lange in den anglizistischen Schubladen auf sich warten lassen. Über verschiedene Kanäle, in unseren Breitengraden hauptsächlich jedoch dem ursprünglich als Let’s Play-Streamingplattform angedachten Twitch, lassen uns Broadcastjockeys an dem Inbegriff der Alltäglichkeit teilhaben: der Nahrungsaufnahme. Während eines Livestreams und – falls man Glück hat – auch in den Archiven des eigenen Youtube-Kanals setzen sich Fans der Verköstigung vor die Kamera und verzehren ihr Essen. Was in der Pornoindustrie ein Nischenprodukt war und immerhin mindestens zwei Akteure einforderte (einen Feeder und eine bourlesque Dame mit dem Wunsch zur Expansion), ist in diesem Setting jedoch weit entfernt von der Lustgewinnung durch anwachsende Pfunde. Tatsächlich – und das ist das eigentlich Bizarre an diesem Trend – ist der Pudels Kern sozialen Ursprungs und rückt Social Eating damit in ein weitaus sozialeres Licht, als so manch andere Anlaufstelle des gemeinschaftlichen Miteinanders. Die Verzehrer bieten jedem an, die Nudelsuppe nicht allein im Kämmerchen zu verspeisen, sondern in einer Illusion des Zusammenhalts dem Grundbedürfnis nachzugehen. Innerhalb einer kulinarischen sowie sozialen Maßlosigkeit verschmelzen die Stufen der Maslowschen Bedürfnispyramide zu einem voyeuristischen Mischwesen unserer Neuzeit. Damit ist die Befriedigung eines grundlegenden physiologischen Impulses eher zweitrangig, sondern gewinnt durch die Gemeinsamkeit einen neuen Stellenwert: Brüder und Schwestern in der gestreamten Frikadelle vereint.
Als Medienproduzent darf man jedoch an diese Form des Austausches nicht herangehen. Ähnlich wie beim bereits toddiskutierten Thema des neuen Berufsbildes Youtuber ballt sich die Faust in der Hosentasche eines ambitionierten Filmemachers. Aber auch hier kommt der klugscheißende Pragmatiker mit einem Grinsen aus dem Schatten der Gerechtigkeit und verweist auf den überbordenden Erfolg eines solchen Formates hin. In Europa bisher noch recht überschaubar, jedoch bei den Koreanern ein bereits etabliertes Model des alltäglichen Internetwahns. Millionen schauen sich beim Essen zu und verleihen den Broadcastjockeys Prominentenstatus, der in der Stellenbeschreibung nur ein nettes Lächeln, strapazierbaren Magen und das Abhanden sein eines Würgreflexes ausweist. Damit die Community auch nach der letzten Episode “Reistopf” dauerhaft am Ball bleibt, wird einfach mehr auf den Tisch gestellt. Zornige Weltverbesserer würden diese Maßnahme der Zuschauerbindung als Ressourcenverschwendung oder First-World-Völlerei an den Pranger stellen, zumal auch 2016 immer noch mindestens ein Kind in Afrika hungert. Doch dies soll nicht der springende Punkt in dieser Inspiration sein.
Faszinierender ist die Adaptionsgewohnheit des – entschuldigt – digital natives. Gott gab Moses den brennenden Wink mit dem Zaunpfahl und ausreichend Holz, sodass er die rettende Nussschale aller Existenzen zimmern konnte. Die Breitbandanbindung gab dem Menschen eine Bühne der Selbstinszenierung. Gepaart mit der Einsamkeit und somit dem Wunsch zum Gedankenaustausch mit anderen, ohne dabei jedoch die Wohnung zu verlassen, fällt das Neugeborene namens Social Eating aus dem digitalen Geburtskanal. Da braucht es nicht mal nicht mal von der Nabelschnur befreit zu werden – mittlerweile ist ja alles wireless. Das Ergebnis ist eine hungrige Koreanerin, die ihre Gedanken beim Essen mit vollem Mund kommuniziert. Höflich ist anders, aber sozial ist anscheinend genau so. Ob gut oder schlecht jedoch, soll hier nicht diskutiert werden. Anscheinend trifft der Voyeurfrissmus den tropfenden Zahn der Zeit und befriedigt unsere 2.0-Bedürfnisse nach Gleichgesinnung. Da ist es fast schon passend, dass sich sich die Broadcastjockeys selbst als BJs abkürzen.