von Ben
(Warnung: Die nachfolgenden Zeilen liefern keine Pointe, Argumente oder sonstigen Erkenntnisse. Es handelt sich lediglich um ein paar Gedanken.)
Sag mir wo der Spieltrieb ist, wo ist er geblieben? Diese Frage stellt sich mir schon seit längerem. Das einst so euphorische innere Kind in mir sitzt auf der stillen Treppe und erinnert sich nur noch vage an die Zeiten, in denen sich hinter jedem digitalen Stein eine wunderbare Welt zum darin verlieren verbarg. In der Sturm und Drang-Phase meiner Erkundung von spielerischer Fiktion war es fast unvorstellbar, dass diese Reise irgendwann mal ermüdet. Ich hab es nie verstanden, dass bei vielen Menschen ein inneres Ablaufdatum für den fast schon naiven Spieltrieb existiert. Gut, zugegeben war meine Vorstellung von meinem zukünftigen, älteren Ich immer etwas nebulös und unausgereift. Als wir mit 14 Jahren die Hosen nicht tiefer hängen konnten und mit dem Schritt zwischen den Knien die Leiter unserer Entwicklung erklommen, war uns klar: wenn ich später ins Büro gehe, dann doch sicherlich mit einem ähnlichen Outfit. Die Adoleszenz verdirbt mir nicht den Geschmack der Revolution gegen die Anpassung. Mit weitem Hoodie und noch weiteren Jeans verdiene ich mir mein täglich Brot. Diese angenommene Unsterblichkeit der Jugend und damit verbundenen Konservierung dessen, was neu und aufregend ist, hat sich jedoch nicht nur bei der Frage nach der Kleidungswahl gezeigt. Auch das Videospielen musste sich dieser Auffassung unterwerfen. Was heute mit Leidenschaft und Freude verbunden ist, kann übermorgen doch nicht schal werden. In implizierten Einmachgläsern der kindlichen Freude bewahren wir uns die Steckenpferde der Jugend. Was wir ablehnen, spießig und uninteressant finden, das wird auch noch in ferner Zeit die Abscheu auf das Gesicht zaubern.
Nun sind die Jahre vergangen. Die Hosen hängen nicht mehr komplett auf Halbmast. Man ertappt sich dabei, wie man im Baumarkt in der Gartenabteilung fast schon mit rasender Leidenschaft feststellt: Oha, die Kräuter hier sind doch sehr erschwinglich. Mit einem Gewürzgarten könnte ich viel Freude haben. Die Rapvideos auf VHS weichen den archivierten Kochsendungen auf youtube und auf die Frage, ob man heute mal wieder etwas zocken will, wird nur ein müdes “Lass mal was anderes machen” erwiedert. Schon längst verdunkelt das Rollo nicht mehr den Raum, die Sonne wirft ein neues Licht auf die Dinge. Doch woran liegt es, dass jugendliche Konserven doch irgendwann nicht mehr genießbar sind? Vielleicht hat man einfach schon zu viel gesehen. Vielleicht ist man müde. Vielleicht haben wir ein Luxusproblem mit einer Flut an Optionen.
Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal meine XBox360 startete, war ich begeistert. Statt direkt ins Spiel zu starten, wie es bei den Vorgängern in meinem Kabinett der digitalen Unterhaltung der Fall gewesen ist, befand man sich auf einem Dashboard. Einer Schaltzentrale der Konsole. Das Gerät konnte online gehen und ich zog mir massenhaft Demos, obwohl sie mich teilweise nicht interessierten. Davor konnte nur ein abonniertes Spielemagazin diese Exploration liefern, jetzt war ich Chef meines eigenen Konsums. Ein glorreiche Zeit des Zockens startete mit diesem Tag und fast wöchentlich entdeckte man neue, aufregende Welten, die das Rollo und damit das Aussperren der analogen Einöde vor dem Fenster notwendig machte. Wir spielten nicht, wir zehrten die Welt und deren Fiktion aus. Immer neue, kleinere Revolutionen der Videospielgeschichte schrieben unsere Anekdoten des Zockens und noch heute können wir diese gemeinsamen Erinnerungen fast nostalgisch mit Anderen teilen. Natürlich wurden die ersten Seiten dieser Erzählungen bereits vor der 360 verfasst. Wir erinnern in einer kollektiven Freude an Kämpfe, Niederlagen und kindliche Freude. Wir teilen die Faszination eines Duells gegen Psycho Mantis, die Erweiterung des Horizonts von Grand Theft Auto in die dritte Dimension und Unbehagen in Rapture. Doch diese Geschichten sind Erinnerungen, kein Zustand der Gegenwart. Die einstige Euphorie ist damit nur noch in den hinteren Ecken unserer Vergangenheit zu finden. Videospiele sind alltäglich geworden.
Und damit kennt man die Variable. Die Formel und Mechanismen der Entführung in eine Geschichte haben sich fest eingebrannt und überraschen nicht, wenn man die nächste Seite aufschlägt. Alles ist irgendwie schon mal gewesen und fesselt nicht mehr an den Bildschirm, wie noch in vergangenen Tagen. Und so stellt sich die Frage nach der Schuld. Altert der Spieltrieb oder liefern uns Games nur noch aufgewärmte Brühe? Das lässt sich hier nicht so schnell beantworten. Fest steht nur, dass ich eine Sättigung festgestellt habe, die doch etwas bestürzt.
Denn am Ende ist die Vorstellung meines jüngeren Ichs davon, was mal sein könnte, trotz der grenzenlosen Naivität doch irgendwie romantisch…