von Ben
Neulich gönnte ich mir erneut das Vergnügen, Springer Bermans und Pulcinis nicht ganz detailgetreue Verfilmung von Harvey Pekars Leben in „American Splendor“ genießen zu dürfen. Ein grumpeliger Soziopath schöpft mit sarkastischen Comics ein kritisches Statement über den alltäglichen Struggle von Amerikanern (in dem Fall sich selber), die den großen Traum vom sorgenfreien Leben nur vom Hörensagen kennen. Unabhängig der Tatsache, wie großartig Paul Giamatti den unbequem-kauzigen Schöpfer eines bis dahin noch untypischen Comicgenres interpretiert und spielt, fiel mir vor allem ein merkwürdiger Übersetzungsfehler in einer Hälfte des Streifens auf. Dabei lauscht der Protagonist zähneknirschend den Aussagen seines autistischen Freundes Toby über die Filmpremiere von „Revenge of the Nerds“. Fast euphorisch beschreibt dieser dabei seine Freude über die erste prominente Heroisierung des Nerds, wobei zum ersten mal die naserümpfend betrachtete soziale Nische sich gegen Bullies und gesellschaftliche Verachtung wehrt, damit den klassischen dramatischen Verlauf von Helden und Sidekicks umkehrt. In der deutschen Synchronisierung tauschen die Autoren das mittlerweile selbst bei Mutti und Vati bekannte Wort Nerd durch Außenseiter aus, was mich stutzig machte.
Dass sprachlich etablierte Anglizismen und Fachbegriffe in der deutschen Sprache angekommen sind, ist ein klassisches Zeichen der Veränderung unserer Gesellschaft. In “Verrückt nach Mary” der Farrelly-Brüder wurde in der deutschsprachigen Fassung das Wort Stalker konsequent durch Stelzbock ausgetauscht. Lange Zeit wussten sich die Schreiber der Versionen für unseren Sprachraum sich nur mit Freak, Trottel oder Eierkopf zu helfen, wenn diese vermaledeiten Skripte der Originalfassung mal wieder den Nerd erwähnten. Es gibt zahlreiche Beispiele für dieses Phänomen. Was auffällt ist die negative Färbung der Übersetzung.
Dies hat sich jedoch gewandelt. Der Vorgang der Thronergreifung innerhalb der erfolgreichen Rache der Außenseiter zeigt sich auch in der Unterwanderung in unserem Sprachgebrauch. Spätestens seit Lennard Hofstaedters Punchline „That’s how we roll in the Shire“ (Staffel 1, Episode 6, The Big Bang Theory) war selbst dem kritischsten Betrachter klar, dass sich die Gruppe an merkwürdigen Gesellen vom Beckenrand unserer Gesellschaft in die tieferen Gewässer trauen.
Nerd-tum ist salonfähig geworden. So sehr, dass man fast schon Außenseiter oder gar Freak ist, wenn man nichts mit Comicbüchern, Videospielhelden oder Dr. Who anfangen kann – um mal eine Hand voll Klischees auszugraben. Da ist es schon fast nicht mehr verwunderlich, dass sich generationsübergreifend die halbe Welt in Foren über zwei zusätzliche Laser am Lichtschwert im aktuellen Star Wars Teaser wund diskutiert.
Am Ende gewinnt die Gemeinschaft. Leidenschaftliche Hingabe zu einem bestimmten Spartenthema hat im Grunde genommen nichts mit Nerd-sein zu tun. Es ist der ganz natürliche Drang des Menschen, sich ein Portfolio von Inspiration und Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Bei der Geburt werden wir über den Geburtskanal unserer Mutter in eine Welt der überfordernden Optionen geschleudert. Um uns halbwegs durch diesen undurchschaubaren Algorithmus zu navigieren, brauchen wir Fixpunkte innerhalb unserer Entwicklung. Ein Mensch kann nicht mit einem Startpack der Interessen geboren werden. Demnach ist es wichtig, seine Nische und Zugehörigkeit über Hingabe aufzubauen. Die gesellschaftliche Akzeptanz gebietet jedoch nur diese Zuneigung zu dem Offensichtlichen. Die Etablierung des Bildes eines Nerds hat es geschafft, die Scheuklappen zumindest aufzuweichen und mehr Mut zur Emanzipation innerhalb des Selbstfindungsprozess zu finden.
Was Toby 1984 dazu treibt, viele Kilometer zum einzigen Kino zu fahren, das „Revenge of the Nerds“ im Programm hat, ist der Drang zur Zugehörigkeit. 2014 musste man jedoch nicht lange suchen, um andere Außenseiter zu finden. Und das kann nicht schlecht sein.