von Ben
Vor vielen Jahren war die Welt der Videospiele für die meisten Menschen ein unzugänglicher Ort, deren autarke Regeln und Mechanismen aus der Feder Jules Vernes stammen könnten. Die Bewohner in den Kutten ihrer eigenen Nische gehüllt, als Liebhaber einer exotischen Frucht abgestempelt, jedoch selten als integrativer Teil der Gesellschaft angesehen. Versteht mich nicht falsch – Videospieler waren keineswegs krasse Außenseiter, jedoch erschien der Gegenstand ihres Interesses von Außen betrachtet undefinierbar, fern von der Faszination, die Gamer dazu bewegt, einen Großteil ihrer Zeit mit dem Explorieren von interaktiver Fiktion zu verbringen. Diese Entkopplung von populären Massenmedien hielt dadurch lange Zeit an und separierte das reichhaltige Universum der Videospiele von der sonst so weit verbreiteten Welt der Medienkonsumenten. Aufzuarbeiten, weshalb diese Trennung so resistent war, würde an dieser Stelle zu weit gehen, jedoch stellen sich fein-motorische Einarbeitung und Annahme, sowie Manipulation fester Regeln und Mechanismen innerhalb einer ungewohnten Interaktion als Barrieren dar – der Nutzer wird aus seiner passiven Rolle gedrückt und zum erfolgreichen Durchleben einer Geschichte in die Situation des Handelns gezwungen. Die Aneignung von szenetypischem Vokabular, Wissensgegenständen und natürlich die Subtraktion anderer Aktivitäten liegt nicht jedem und so war Computerspielen das, was eine klassische soziale Nische ausmacht: eine Subkultur, die eine Abgrenzung zur anderen sozialen Gebilden erfährt. Die damit bestehende Vorurteilsbildung und Außergruppeneffekte sind damit nur einer natürliche Reaktion auf dieses “Untergeschoss” unseres sozialen Gefüges, führen aber wie alle meinungsbildenden Gruppendynamiken zu einer Menge Missverständnisse und damit Probleme für die beteiligten Personen.
Der Aufbruch dieser verkrusteten Meinungsstruktur geschah schleichend, wurde aber durch eine Annäherung der Inhalte von Videospielen an ein – zumindest vor über 10 Jahren noch – größeres und sozial akzeptiertes Medium beschleunigt: den Film. Als 2002 Regisseur Paul W.S. Anderson mit der Videospielverfilmung Resident Evil auch einem thematikfernen Publikum zumindest die Ideen dieser Spielwelt reißerisch aufbereitete, entpfropfte er zumindest langsam das taube Gehör und rieb den Sand der Ignoranz aus den Augen des Mainstreampublikums. Natürlich beschränkte er sich in seiner cineastischen Umsetzung auf massentauglichwirksame Effekte – Zombies, Blut und so. Für den Kenner der Serie war die Verfilmung von der Vorlage soweit entfernt, wie Scooter vom Dreiklang. Schnell erkannte jedoch die Industrie, dass ein kreatives Anheften an der Welt der digitalen Fiktion den Konzeptionsprozess beschleunigt und effektiv Geld in die Kassen spülen kann. Zweifelhafte Inszenierungen von hervorragenden Games folgten damit auf den Fuß: Doom, Max Payne, Hitman. Diese Franchises mussten innerhalb dieser Inspirationsprostitution die Augen schließen und es über sich ergehen lassen. Das klingt im ersten Moment negativ, aber hatte einen positiven Seiteneffekt: die Welt der Gamer katapultierte sich aus der Subkultur, wurde quasi in der 80. Minute eingewechselt, um dem uninspirierten Spielaufbau des filmischen Angriffsspiels noch ein paar frische Akzente zu verleihen. Die Nische öffnete ihre Tore und gab zumindest einen Teil ihrer Komplexität einem größeren Publikum frei. Jedoch erfolgten diese Adaptionen aus dem Blickwinkel von Außenstehenden. Stets bemüht, an der Vorlage zu bleiben, doch nicht fähig, ihre Sprache zu sprechen, verfehlten die Schöpfer dieser Machwerke zumindest das Sekundärziel, auch dem Gamer eine zufriedenstellende Neuinszenierung ihres Alltagsgegenstandes zu geben.
Dieses Missverständnis befindet sich nun jedoch in einem Wandel, da die Kompetenzen sich immer mehr überschneiden. Man hat festgestellt, dass die Welt der Gamer nicht nur auf cineastischer Ebene für ein Publikum funktioniert. Viel mehr lechzen die Konsumenten nach einer ganz anderen Qualität: Empathie. Die Aufbereitung von Videospielinhalten innerhalb eines Massenmediums ist die hilfreiche Hand für einen Verschollenen, der im Ozean seiner Subkultur auf den Grund der Isolation gezogen wird. Über diesen Weg konnte er eine neue Plattform der Aufmerksamkeit erhalten und -richten, die nicht nur von Außen wirkt, sondern auch die eigene Selbstreflexion befeuert. Wer bin ich? Was macht mich aus? Wo befinde ich mich? Gesellschaftliche Stellung und Identität erhalten eine neue Qualität, indem Filmemacher aus dieser bisherigen sozialen Nische des Gamers einen Leuchtturm der Empathie erschaffen. Gamer kommunizieren über den Film auf der Metaebene ihrer Existenz und kreieren damit ein Gefühl der sozialen Berechtigung ihrer Nischenkumpel.
Mit Bravour hat das Freddie Wong und sein Produktionsteam Rocket Jump in der crowdgefundeten Serie Video Game High School oder kurz VGHS geschafft, die die klassischen, ja fast schon stereotypischen Probleme eines Jugendlichen in seinem schulischen Umfeld beleuchtet – mittlerweile in der dritten Staffel. Nur ist diese Highschool darauf spezialisiert, ihren Schülern Gaming-Fertigkeiten zu vermitteln. 10 Uhr – Egoshooterschulung, 12 Uhr – Guitar Hero-Grundkurs 101, 13 Uhr – Pizza aus der Dose in der Mensa. Alles gebündelt in einem effektgeladenen Highschooldrama erkennt jeder, der in seinem Leben innerhalb dieser Subkultur aufgewachsen ist, sich zu einem gewissen Prozentsatz wieder.
Für Außenstehende mag diese Aufbereitung immer noch fremd und kryptisch sein. Jedoch sind wir mittlerweile in einer Zeit des Bewusstseins angekommen. Reflexion über die Welt und ihre Bewohner einer Verne-esken Schönheit gibt jedem die Möglichkeit, zu einer offen und neu geführten Auseinandersetzung mit einer Subkultur.
Und das kann nur gut sein.